Interview: Berit Menke

Geschrieben von therapieundwissen am 26. Februar 2015 um 13:19 Uhr

Berit_Blog_2015

Ganz oft unterhalte ich mich mit Referenten oder Seminarteilnehmern und denke, wie schade, dass nicht noch mehr Zeit ist, ins Gespräch zu kommen, Fragen zu stellen, sich auszutauschen. Vor allem würde ich gerne auch mehr von diesen Begegnungen erzählen, von den vielen Ergotherapeuten, die an so spannenden Projekten arbeiten und neue, kreative Wege gehen!

Jetzt habe ich eine Möglichkeit gefunden, das zu tun und freue mich total auf Interviews mit tollen Ergos und darauf, diese mit euch hier zu teilen!
Wie schön, dass ich gleich im ersten Interview meiner lieben ehemaligen Kollegin und unserer Referentin Berit Menke Fragen stellen darf! Danke für deine Antworten, liebe Berit!

Viel Freude und Inspiration beim Lesen!

Wie sieht deine Arbeit aus, was machst du?

Ich arbeite in einer Praxis für Ergotherapie in Hannover in einem kleinen, feinen Team vor allem mit Kindern mit AD(H)S. Wir achten auf eine sehr enge Zusammenarbeit mit den Eltern durch eine individuelle Beratung und praktisches Coaching. Dadurch kommen Eltern mit einem großen Beratungswunsch gezielt zu uns. Dass wir im Team auch viele Fortbildungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten im Bereich „Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten“ gemacht haben und wir sehr verhaltenstherapeutisch-orientiert arbeiten hat sich ebenfalls in einem recht großen Einzugsgebiet herumgesprochen, so dass Eltern, deren Kinder in diesem Bereich ihre Schwierigkeiten haben, oft einen weiten Weg zu uns in Kauf nehmen.
Außerdem bieten wir viele verschiedene Gruppen, an vom Kindergartenalter bis zu den Jugendlichen – alle ohne allzu lange Wartezeiten. Als Autorin des Ergotherapeutischen Sozialkompetenz-Trainings (EST) ist diese Gruppe fest in meiner Hand gemeinsam mit einer Kollegin.
Neben der Arbeit in der Praxis arbeite ich noch an zwei Grundschulen und führe dort Gruppentrainings mit den Schwerpunkten Sozialkompetenz (EST als Teamtraining), Aufmerksamkeit und Selbststrukturierung und Lerncoaching durch -teils mit gezielt aus verschiedenen Klassen ausgewählten Kindern, teils im Klassenverband.
Als drittes gebe ich Seminare zum EST und entwickle zusammen mit meiner Freundin und Mitautorin des EST Steffi Otte-Löcker das Training weiter und koordiniere dessen Evaluation.

Was ist das Beste und was das Schwierigste daran?
Das Beste und das Schwierigste zugleich sind die unterschiedlichen Arbeitsbereiche: Praxis, Schule und das EST an sich. Ich mache alles gleich gerne und alles entwickelt sich stetig weiter. Die Schulen sind als Arbeitsbereich für mich noch relativ neu und die Zusammenarbeit mit den Lehrerinnen und Sozialpädagoginnen ist sehr inspirierend – auch für die Arbeit in der Praxis und das EST. Es gab im Sommer eine Änderung, dass Schulen nur noch mit juristischen Personen, z.B. Vereinen zusammenarbeiten dürfen, wodurch wir gerade viel zu organisieren haben, dass die Schularbeit weiter laufen kann.
Das Organisieren ist insgesamt der Teil meiner Arbeit, den ich in allen drei Bereichen als den Schwierigsten ansehe: Gruppen neu zusammenstellen und dafür mit vielen Eltern telefonieren und deren Terminwünsche zu berücksichtigen, Verordnungsfragen zu klären, Seminartermine zu koordinieren und vernünftige Rahmenbedingungen für die Arbeit an den Schulen zu schaffen, die alle Beteiligten rechtlich absichern, zieht viel Zeit und Energie, die ich lieber in die eigentliche Arbeit mit den Kindern, Eltern und Lehrern stecken würde. Und „ganz nebenbei“ habe ich ja auch meine eigene Familie mit zwei Kindern, die in meinen beruflichen Plänen natürlich auch eine große Rolle spielt.

Was bedeutet Ergotherapie für dich?
Als ich beschlossen habe Ergotherapeutin zu werden, dachte ich: Dieser Beruf wird nie langweilig. Jeder Mensch, der zu dir kommt, hat neue Ziele, einen neuen Alltag, neue Stärken, Interessen und Probleme. Und genauso ist es. Ergotherapie bedeutet für mich, in meiner Arbeit, die Eltern und die Kinder nach ihren Zielen zu fragen und individuell auf ihren Alltag zugeschnitten an diesen Zielen zu arbeiten. Da kann ich nicht einfach sagen: das Kind hat ADHS, also mache ich immer folgendes… Das eine Kind liebt Mathe, weil es so schön klare Regeln gibt, das nächste findet Mathe genau deshalb schrecklich und schreibt am liebsten lange Aufsätze über Reisen ins Weltall. Manchmal ist man auch der erste „Fußballtrainer“ mit CO-OP-Ansatz, weil das Kind sagt: „Ich schieße oft volle Kraft auf`s Tor, aber treffe nie! – Das will ich ändern!“ Ich selber lerne bei jedem Kind ein bisschen dazu.

Was inspiriert dich für deine Arbeit?
Die Arbeit an der Schule ist sehr inspirierend. Ich kann dort direkt im schulischen Alltag arbeiten und mich mit den Lehrern und Schulsozialarbeiterinnen austauschen. Die Angebote entwickeln sich in diesen interdisziplinären Gesprächen weiter und es kommen auch völlig neue Ideen dazu. Vor allem die Arbeit mit ganzen Klassen ist neu für mich und ich war beim ersten Mal schon sehr aufgeregt.
Die Lehrerinnen nicht nur in Bezug auf ein Kind während der Umfeldberatung zu sprechen, sondern Schul- und Lehrerzimmeralltag mitzubekommen ist wieder ein „Alltagspuzzlestein“ mehr, den ich in Bezug auf die Arbeit mit den Kindern und Eltern auch in der Praxis nutzen kann.
Die Seminare zu geben ist auch inspirierend: Sie haben einen ähnlichen Effekt, wie eine Fortbildung zu machen: Wenn ich ein ganzes Wochenende erzählt habe, wie ich optimaler Weise arbeiten möchte und spannende Fragen und Beispiele von den Teilnehmern bekommen habe, entwickele ich oft auf der Zugfahrt schon neue Ideen für die Kinder, die am Montag zu mir kommen. Oder mir fällt auf, wo ich etwas ändern muss, um weiter zu kommen. Ich habe, wie glaube ich alle Therapeuten, Lieblingsfehler, die sich gerne einschleichen möchten in meine Therapien. Da bin ich froh, die Seminare zu haben, die mich regelmäßig therapeutisch durchrütteln.
Meine Zusammenarbeit mit Steffi ist auch immer sehr bereichernd. Es kommt häufig vor, dass wir uns gegenseitig Planungen z.B. für Elternabende in der Schule mailen mit der Bitte noch mal Rückmeldung zu geben. Wir arbeiten auf sehr ähnliche Art und Weise aber in völlig unterschiedlichen Einzugsgebieten und in anderen Settings. Das macht den Austausch zusätzlich spannend.
Mein Team ist auch inspirierend – nur leider ist die Zeit in der Praxis oft viel zu knapp, um diese Quelle richtig nutzen zu können.

Was wünschst du dir für deine Arbeit? Und wovon träumst du?
Ich träume davon, dass es völlig normal wird, dass Ergotherapeutinnen an Schulen arbeiten. Das Konzept, dass Eltern Schulbegleiter für ihr Kind beantragen, der dann auch nur für dieses Kind zuständig ist, ist jetzt schon im Umbruch. Aber wo geht es mit der Inklusion hin? Wie wird Schule gestaltet, dass alle Kinder die Unterstützung bekommen können, die sie brauchen? Das ist spannend und dazu gilt es mit Ideen zu entwickeln. Ich finde uns Ergotherapeuten in der Hinsicht zu leise und zurückhaltend. Es ist schließlich günstiger, dass die Kinder zu uns in die Praxis kommen und die Krankenkassen bezahlen, als Ergotherapeuten von Geldern für die Schulen zu bezahlen. Aber wann sollen die Kinder zu uns kommen, wenn immer mehr Schulen zu Ganztagsschulen ausgebaut werden? Um 17 Uhr nach 8 Stunden Schule? Und was ist mit den Kindern, deren Eltern es aus unterschiedlichen Gründen nicht schaffen, ihr Kind in die Praxis zu bringen, wenn es um Chancengleichheit geht? Es geht einerseits darum, sich inhaltlich zu positionieren – überspitzt gesagt klar zu stellen, dass wir deutlich mehr können, als Griffverdickungen zu verteilen und auf Sitzpositionen zu achten. Andererseits ist es ein Kampf um Gelder, die man wieder nur bekommt, wenn man den eigenen Nutzen nachweisen kann.
Da ist auch schon der zweite Traum: Ergotherapie mit vielen eigenen Konzepten, die gut evaluiert sind. Ergotherapie mit Forschungsgeldern für eben genau dieses. Nicht mehr: ich arbeite nach… einem von Psychologen oder Pädagogen entwickelten Konzept, sondern mit einem ergotherapeutischen Training. Die Teilnehmer in den Seminaren arbeiten oft in Anlehnung an bestehende Konzepte mit tollen Adaptionen und Ergänzungen. Los geht`s! Veröffentlichen! Und bitte unterstützt die Studierenden, die sich die Mühe machen, bestehende Konzepte zu überprüfen!

Wie geht es mit dem EST weiter?
Das EST wird gerade als präventives Teamtraining schulfit gemacht. Steffi und ich arbeiten beide schon mit dem EST an der Schule und bekommen erfreulicher Weise auch immer mehr Nachfragen von anderen Ergotherapeutinnen dazu. Deshalb überarbeiten wir gerade vor allem die Elternmaterialien. Ideengeber für das jetzige Konzept war ein Englisch-Workbook. Entstehen wird eine Art Trainingstagebuch, das informiert und Raum für eigenen Ideen, Gedanken und Erfahrungen lässt. Wir sind im Endspurt!
Zudem arbeiten wir weiterhin mit Studierenden zusammen, die das EST im kleinen Rahmen evaluieren. Da es alters- und störungsübergreifend konzipiert ist, ist es sehr aufwendig, es zu evaluieren oder positiv gesehen: Es bietet Raum für viele, viele Bachelor- und Masterarbeiten.
Helene Polatajko sagte auf einem Ergotherapiekongress mal sinngemäß und mit einem Augenzwinkern zu uns: Wenn ihr das Training als ganzes evaluieren wollt in einer großen Wirksamkeitsstudie, dann lasst euch durch einen Millionär, dessen Kind erfolgreich am EST teilgenommen hat, die Forschung finanzieren. Seither warten wir auf das Kind aus Dubai und solange das nicht kommt suchen wir weiter nach engagierten Studierenden. Das war auch ihr Plan B.

Was machst du in deiner Freizeit? Was inspiriert dich privat?
Privat ist es meine Familie, die mich inspiriert. Man steckt in einer Art Dauerfortbildung mit sofortiger Rückmeldung. Als meine Tochter mal nach den Hausaufgaben sagte: „Manchmal ist es schon toll, eine Ergotherapeutin zur Mama zu haben!“ War das ein riesen Kompliment für mich.
Außerdem tanze ich seit ein paar Jahren modernes Ballett. Ich habe immer gerne getanzt – aber nie Ballett und habe mich, weil die Trainingszeit so toll ist, in einen Kurs gemogelt, der eigentlich nicht für Anfänger gedacht ist. Jetzt kann ich Kinder mit Koordinations- oder Gleichgewichtsproblemen viel besser verstehen. Ich kann ihnen aber auch sagen: Auch wenn man irgendetwas nicht so gut kann oder nicht so schnell lernt, wie andere, kann es unheimlich viel Spaß machen. Meine Ballettlehrerin hat aber auch viel Geduld und lobt ganz viel und ihre fröhlichen „Ja – FAST!“ –Rufe beinhalten auch immer häufiger mal ein „Super, Berit!“ das mich mit stolz geschwellter Brust nach Hause radeln lässt.